Bewertung einer ca.-Angabe
Gibt es einen Ausgleichsanspruch, wenn die Wohnfläche des Hauses oder der Wohnung kleiner ist, als im Vertrag angegeben? Und welche Bedeutung hat es, wenn eine Fläche nur mit einer ca.-Angabe vereinbart worden ist? Diese Frage betrifft Kaufverträge über Bestandsimmobilien genauso wie Bauträgerverträge, Bauverträge über Wohnhäuser und Gewerbeimmobilien sowie Maklerverträge.
Zu diesem Thema hat sich das OLG Stuttgart im Dezember 2018 mit einer Entscheidung geäußert, die in vielen Rechtsstreitigkeiten über Flächenabweichungen bei Bau- oder Kaufverträgen beachtet werden dürfte. Dabei hat das Gericht insbesondere erörtert, wie der Umstand zu berücksichtigen ist, wenn eine Fläche im Vertrag mit dem Vorsatz „ca.“ angegeben ist. In dem konkreten Fall ging es um einen Schadensersatzanspruch gegen den Vermittler der verkauften Wohnung, der sich jedoch bis zum Notartermin den Käufern gegenüber als Verkäufer dargestellt hatte. Die Erwägungen des Gerichts dürften jedoch in allen Fällen zu berücksichtigen sein, in denen es um Flächenabweichungen bei Bau- und Kaufverträgen geht.
Zunächst setzt sich das Gericht mit der Rechtsprechung des BGH zu Flächenabweichungen bei Mietverträgen auseinander. Nach dieser Rechtsprechung ist die Wohnraummiete gemindert, wenn die tatsächliche Wohnfläche 10 % kleiner ist, als im Mietvertrag angegeben. Das gilt auch dann, wenn die Flächenangabe im Vertrag mit dem Vorsatz „ca.“ versehen ist. Der erkennende Senat des OLG Stuttgart weist darauf hin, dass dieser Rechtsprechung des BGH der spezifische mietrechtliche Mangelbegriff zugrunde liege, nämlich eine Minderung der Tauglichkeit der Mietsache. Die Rechtsprechung des BGH definiere, wann eine Minderung der Tauglichkeit als „erheblich“ anzunehmen sei, weshalb es dann auch nicht mehr darauf ankomme, ob im Mietvertrag die Fläche mit oder ohne den Zusatz „ca.“ angegeben sei.
Eine solche Erheblichkeitsschwelle gibt es im Schadensersatzrecht nicht. Und sowohl das Kaufrecht wie auch das Bauvertragsrecht verweisen auf das allgemeine Schadensersatzrecht. In der Entscheidung des OLG Stuttgart wird daher angenommen, dass bei Schadensersatzansprüchen die Rechtsprechung des BGH zu Flächenabweichungen im Wohnraummietrecht nicht zu berücksichtigen sei. Unter Bezugnahme auf ein BGH-Urteil aus dem Jahr 1985 führt das Gericht aus: „Die Zirkaangabe impliziert die Möglichkeit einer gewissen Abweichung und offenbart dem Erklärungsgegner, dass der Erklärende sich nicht exakt an die von ihm genannte Zahl binden lassen will, sondern diese nur ungefähr angeben kann. Hält die Abweichung sich innerhalb des von der Zirkaangabe abgedeckten Rahmens, führt sie nicht zu Ersatzansprüchen des Käufers. Nur bei Überschreiten dieses Rahmens sind Ansprüche des Käufers denkbar.“
Der erkennende Senat des OLG Stuttgart betont: „Wie hoch die aufgrund einer Zirkaangabe erlaubte prozentuale Abweichung ist, kann nicht allgemeinverbindlich beantwortet werden.“ Der Senat nimmt dabei Bezug auf ein Urteil des BGH aus dem Jahr 2013, in dem es um die Bausummenobergrenze eines Architektenvertrags ging. In diesem Urteil heißt es: „Vielmehr ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Auslegung der jeweiligen Abrede, zu bestimmen, inwieweit eine Zirkaangabe Spielraum zulässt.“
Im konkreten Fall hat das OLG Stuttgart entschieden, dass den Käufern ein Schadensersatzanspruch zusteht, soweit die Flächenabweichung 5 % übersteigt. Als schützenswertes Interesse der Käuferseite nimmt der Senat dabei an, dass angesichts hoher Quadratmeterpreise Flächenabweichungen für die Käufer eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben. Zugunsten des Beklagten, der nicht gewerblich, sondern als Privatperson gehandelt hat, hat der Senat berücksichtigt, „dass die korrekte Vermessung von Wohnraum anhand der Wohnflächenverordnung kein einfaches Unterfangen darstellt, sondern aufgrund geltender Besonderheiten z. B. für Flächen unter Dachschrägen oder Balkone mit und ohne Überdachung die genaue Ermittlung durch einen Laien durchaus fehlergeneigt sein kann.“
Die Schwelle von 5 % wird hier also ausdrücklich für einen nicht gewerblichen Verkäufer gesetzt. Bei gewerblichen Anbietern, die über professionelle Möglichkeiten zur Feststellung der Wohnfläche verfügen, wird man von einer deutlich geringeren Toleranzschwelle ausgehen müssen! So halte ich für möglich, dass bei gewerblichen Anbietern jedenfalls Abweichungen von mehr als 2 % ausgleichspflichtig sein können.
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