Verknappung schafft Begehrlichkeit!
Das Wort „Schrottimmobilie“, das der Immobilienboom der 90er Jahre hervorgebracht hat, hat es sogar zu einem Eintrag in die Enzyklopädie Wikipedia geschafft. Aber auch wenn der Immobilienboom der 90er Jahre abgeflaut ist, zeigen sich heute regional beschränkte Preisanstiege, die ihre Ursache im Wesentlichen in einem erhöhten Bedarf haben.
Der Unterschied zum Immobilienboom der 90er Jahre liegt in den regionalen Unterschieden. Der Boom der 90er Jahre war im Wesentlichen flächendeckend, der heutige Anstieg der Preise hat einen regionalen Charakter. Diese regionalen Unterschiede führen zu extremen Preisunterschieden bei Immobilien. Für Immobilienkäufer stellt sich die Problematik, dass er schwer einschätzen kann, ob der geforderte Preis marktgerecht ist oder nicht.
Der Gesetzgeber hat hier ein Regulativ geschaffen. § 138 BGB sieht vor, dass ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist
(§ 138 Abs. 1 BGB).
Gegen diese guten Sitten verstößt ein Vertrag insbesondere dann, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen.
Auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.
Wann dies genau der Fall ist, verschweigt der Gesetzgeber. Da der Wucherparagraph jedoch seit der Entstehung des BGB am 18.08.1896 nahezu unverändert geblieben ist, kann diese Regelung auf über 100 Jahre Rechtsprechung zurückgreifen. Diese hat das Wucherthema fortentwickelt und den Zuständen der jeweiligen Zeiten angepasst.
Ich möchte an dieser Stelle auf drei aktuelle Urteile der Obergerichte zur Wucherproblematik aufmerksam machen:
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Kammergericht Berlin, Urteil vom 15.06.2012 – 11 U 18/11.
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OLG Brandenburg, Urteil vom 09.05.2012 – 4 U 92/10.
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BGH, Urteil vom 10.02.2012 – V ZR 51/11.
Der BGH und das Kammergericht Berlin hatten Fälle zu beurteilen, in denen der Kaufpreis der Immobilie doppelt so hoch war, wie ihr tatsächlicher Wert. Das OLG Brandenburg entschied einen Fall, in welchem der Kaufpreis für die Immobilie ihren wahren Wert um 78,9 % überstieg.
Der BGH und das Kammergericht bejahten ein wucherähnliches Rechtsgeschäft aufgrund des groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung und damit die Nichtigkeit des Vertrages gem. § 138 Abs. 1 BGB. Die zusätzlich erforderliche verwerfliche Gesinnung des Verkäufers wird vermutet, wenn der Wert der Gegenleistung doppelt so hoch ist, wie der Wert der Leistung.
Bei dem Urteil des OLG Brandenburg war dies anders. Hier überstieg der Kaufpreis den Wert nur um 78,9 %. Das OLG Brandenburg hat eine Nichtigkeit des Vertrages wegen Wucher daher verneint.
Es muss jeweils die Besonderheit des Einzelfalls betrachtet werden. Jedoch hat die Rechtsprechung eine Orientierungsformel entwickelt:
100 % Preisaufschlag = Wucher
Aber auch unter einem solchen hundertprozentigen Preisaufschlag kann eine Sittenwidrigkeit gegeben sein. Hier muss aber derjenige, der sich darauf beruft, darlegen und beweisen, dass der Wucherer die beim anderen Vertragspartner bestehende Schwächesituation – Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche – ausgenutzt hat. Dieser Beweis gilt jedoch nur in absoluten Ausnahmefällen. Die allgemeine Unerfahrenheit von Verbrauchern reicht hierfür nicht aus.
Ein späterer Rechtsstreit über die Wirksamkeit eines Immobilienkaufvertrages birgt in jedem Fall ganz erhebliche Prozessrisiken, denn der Wucherparagraph eignet sich nicht zur Verallgemeinerung.
Erhebliche Prozessrisiken
Die Risiken liegen zum einen auf tatsächlicher Ebene als auch auf rechtlicher Ebene. Zur Beurteilung des tatsächlichen Wertes der Immobilie sind oft Verkehrswertgutachten notwendig. Unterschiedliche Gutachten können ganz erheblich voneinander abweichen, so dass ein vorgerichtlich eingeholtes Parteigutachten nicht immer einen sicheren Sieg bedeutet. Der Gerichtsgutachter kann ganz anderer Auffassung sein. Auf rechtlicher Ebene besteht die
Unsicherheit, ob das erkennende Gericht tatsächlich eine verwerfliche Gesinnung seitens des potenziellen Wucherers annimmt oder nicht.
Hier sollte man bedenken, dass ein Prozess, der einen Immobilienkaufvertrag über 500.000,00 € zum Gegenstandswert hat, in zwei Instanzen an Anwalts-, Gerichts- und Gutachterkosten schnell 40.000,00 € kosten kann.
Tipp: Hier gilt der Spruch: Lieber vorher prüfen als hinterher streiten.
Andreas Jurisch
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Kanzlei Streitbörger Speckmann Potsdam
Tel: 0331/2756111
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